Hörprobe / Textprobe Oboenrohr

JavaScript has to be enabled for this demonstration.

Hörproben


Herbstliche Attitüde - vielleicht ein Sonett

Blätter schweben durch die Lüfte
fallen bunt auf meine Hand
überall verzaubern Düfte
lachend lauf ich übers Land.

Ein bisschen Wehmut streift mein Herz
denn ich muss nun Abschied nehmen
und ganz hinten pocht ein Schmerz
den kann nur die Sonne zähmen.

Mittags ist es oft ganz warm
und schräge Strahlen kitzeln mich.
Nur der Herbst hat diesen Charme –
zwinkert mir zu: Ich liebe dich!

Im Winter grinsen kahle Bäume
in kalt verschneite Sommerträume.


Mein Vater floh nach Lerche-Neustadt

Damals, als der Krieg zuende ging, war mein Vater fast sechs Jahre alt.
Die Amerikaner waren nah und die Familie meines Vaters beschloss zu fliehen - kurzentschlossen zogen sie mit Koffern und den Großeltern nach Lerche-Neustadt. Das war damals eine Sammlung krummer kleiner Häuschen, nur wenige Kilometer entfernt, aber mit dem unschätzbaren Vorteil, so klein zu sein, dass sie auf keinem Stadtplan vermerkt war. Nach immerhin drei Fluchttagen in ländlichster Idylle zog die Familie meines Vaters, weil der Feind ja nicht gekommen war, wieder nachhause. Die Eltern waren sicher, dass die Amerikaner jetzt bestimmt nicht mehr kämen. (Die Alliierten haben Lerche-Neustadt 1945 tatsächlich gar nicht gefunden - sie sind dort bis heute noch nicht aufgetaucht.)
Wieder daheim ging man pünktlich zu Bett - allerdings nicht, ohne zuvor zuzusehen, wie der Opa meines Vaters und ein paar andere wackere Volkssturmmänner, allesamt schon vor Verdun nicht mehr jung, dünne Birkenästchen und grüne Zweige auf die Straße legten und mit ihren Spaten knöcheltiefe Furchen in die ungeteerte Fahrbahn gruben. Falls die Amerikaner wider Erwarten doch noch kämen sollte diese Blockade sie an der Eroberung der Straße hindern.

Am nächsten Morgen schob eine riesige amerikanische Planierraupe mühelos diesen letzten Verteidungungswall aus deutschem Birkenreisig beiseite. Der Raupe folgten Soldaten in Panzern und Jeeps, die meisten hatten blitzend weiße Zähne im schwarzen Gesicht. Kaugummis und Schokolade für die Kinder, Bohnenkaffee für die Frauen und Tabak für die Männer wurden verteilt und innerhalb von Minuten gab es keine Führerbilder und kein Exemplar seines Buches (das meist überhaupt das einzige Buch im Hause war) mehr in der Nachbarschaft.
Dem einzigen Nachbarn, der sich weigerte, ein weißes Betttuch aus dem Fenster zu hängen, haben die Amerikaner die fetten Schinken aus der Räucherkammer geholt. Darüber lachte mein Vater, während er die erste Schokolade seit Jahren aß.
Den vorangegangenen Kriegswahnsinns und das zwölfjährige Reich hat mein Vater nur in Bruchstücken erlebt.

Am Ende der kleinen Straße, an der mein Vater aufwuchs, war kurz vor Kriegsende ein englischer Pilot lebend gelandet. Mag sein, dass es auch ein amerikanischer war. Die Nachbarn meines Vaters sorgten mit Heugabeln, Dreschflegeln und manchem Schweißtropfen dafür, dass dieser junge ausländische Pilot kurz nach der überstandenen Landung in die Statistik der Kriegstoten aufgenommen werden konnte.
Manchmal zeigte mein Vater mir ein kunstvoll aus rotem Draht geflochtenes kleines Deckelkörbchen. Ich habe gern damit gespielt. Vielleicht, weil es so hübsch gemacht war, vielleicht weil mir mein Vater die Geschichte der Herkunft des Körbchens häufig erzählte. Das Körbchen hatte einer der vielen russischen Kriegsgefangenen, die im Lager im anderen Stadtteil hinter Stacheldraht verhungerten, gebastelt und gegen Brot getauscht. Denn manch mitleidiger Volksgenosse hatte den Russen ein paar alte Brotkanten über den Zaun geworfen und dafür die aus Resten gefertigten Tauschobjekte erhalten.

Ein Nachbar meines Vaters nannte seinen Sohn mit Vornamen „Adolf“. Der Nachname dieser Familie ist durch Zufall mit dem Namen des Führers und Massenmörders bis auf den allerersten Buchstaben identisch. Besonders stolz war dieser fast namensgleiche Nachbar darauf, mit größtem persönlichen Einsatz Führers Geburtstag auch zum Geburtstag seines kleinen Adolfs gemacht zu haben.

Mein Vater sah hell leuchtende „Christbäume“ am Nachthimmel, die im Dunkel über Dortmund herunter gingen, brennende Phosphorbomben, die den alliierten Piloten den Weg für ihre Bomben wiesen.
Für meinen Vater damals unverständlich: Eine andere, noch fast junge Nachbarin ergraute über Nacht, als sie erfuhr, dass ihr Sohn nun in alle Ewigkeiten das Feld der Ehre für Führer, Volk und Vaterland statt des heimischen Kartoffelgartens beackern werde.

Und weil dieser Krieg seine grauenhaften Spuren auch im Dorf meines Vaters hinterlassen hatte wurde er erst im darauf folgenden Jahr, also ein Jahr nach Kriesgende, eingeschult. Bis dahin spielte er das neue Spiel „Cowboy und Indianer“ (er sprach es damals „Koffboi und Indianer“).


Hommage an den „Räuber“

Robert Walser lebte in der Schweiz und schrieb drauflos. Lange, verquaste Sätze entsprudelten seinem abgespaceten Hirn, wanden sich auf geduldigem Papier zu absurden Geschichten, machten ihn zum „Räuber“. Am Ende psychiatrische Klinik, Einweisung freiwillig und später munkelte man, er sei längst geheilt, aber er blieb bis zum Ende auf seinem Zauberberg ohne Husten, ein paar Jahrzehnte lang, posthumer Ruhm zu Lebzeiten und zeitweilig eine ganze Menge Leser. Hermann Hesse liebte ihn. Seine Manuskripte schrieb er klitzeklein (Mikrogramme), die Buchstaben gerade einmal einen Millimeter hoch, dass man lange dachte, er benutze eine Geheimschrift, dann erst schrieb er sie mit der Feder ordentlich und lesbar ab.
Ich kann nicht so klein schreiben. Ich tippe meine Texte, korrigiere die Ortografie.
Sonst sähe es vielleicht so aus:

Ich sehe aus dem Fenster, der Kreisverkehr ist weiß. Federn, viele weiße Federn. Die Kanickel haben sie im Pelz und auf den Nasen, der graugrüne Rasen ist jetzt weiß, ein paar Federn klatschen nass auf den Gehweg, Kissen verstopfen die Mülleimer oder liegen ohnmächtig herum. Ende Februar. Die Reste einer spontanen Aktion. 400 Leute bei der Kissenschlacht, klasse, „Platsch!“, „Wumm!“, kichern, die Federn und Schaumstoffinlets bleiben danach liegen, die Kanickel tragen sie im Fell und Omas rutschen mit den Rollatoren im weißen Brei aus. Spontanes Happening mit langer Wirkung, die Presse war dabei. Ein Erfolg. Die Osterglocken sind platt getreten, waren eh immer kitschig, macht also nichts, aber in diesem Jahr bleibt der Kreisverkehr im Frühling kahl, macht also doch was, vielleicht ein paar Tulpen einsetzen, zu spießig, also Kanickel mit weißer Nase sehen.

Ich sehe aus dem Fenster, der Kreisverkehr ist weiß. Ein Mann wühlt im Mülleimer nach leeren Flaschen, steckt sie in den „adidas“-Rucksack, geht zum nächsten Mülleimer, er ist nicht mehr zu sehen. Eine Frau führt den Hund an der Leine vorbei, der Hund pisst an den Mülleimer. Der Hund geht weiter, ein Kind tritt gegen den Mülleimer, ziemlich fest von unten, noch einmal. Der Deckel öffnte sich, der Inhalt knallt auf den Gehweg, das Kind lacht, das Kind geht weiter. Eine Oma schüttelt den Kopf, der Hund dreht sich um. Der Flaschensammler ist nicht zu sehen.

Ich sehe aus dem Fenster, der Kreisverkehr ist weiß. Vor der Deutschen Bank spielt ein Mann Trompete, tritt dann gegen die Tür, geht weiter. Leute bleiben stehen, der Mann kommt zurück. Er spielt wieder ein paar Töne, gar nicht schlecht geblasen, ich bin Musikkritikerin und kann das beurteilen, die hohen Töne recht sicher und überhaupt alles schön klar artikuliert. Er tritt wieder gegen die Tür, geht weg. Ich sehe ihn nicht mehr. Ein „Räuber“? Ein Aspirant für den Zauberberg der Durchgeknallten?

Ich sehe aus dem Fenster, der Kreisverkehr ist weiß. In den kahlen Bäumen tändeln ein paar Vögel, schwarz und häßlich, eine Möwe fliegt kreischend vorbei. Eine Möwe in der Stadt? Die psychatrische Klinik in der Schweiz ist weit, die Möwe ist echt, Robert Walser ist tot. Die Möwe kreischt und ärgert die schwarzen Kollegen mit angetäuschten Landemanövern. Ich bin sicher sie grinst und hat ein Brieflein im Schnabel, vom „Räuber“ einen Gruß.

Ich sehe aus dem Fenster, der Kreisverkehr ist weiß. Ein PKW mit Steinfurter Kennzeichen biegt nach links in den Kreisverkehr, Stillstand, kein „Rumms“, nur vorher ein lautes „Quietsch“. Der PKW dreht, der Fahrer ist rot im Gesicht, die anderen Fahrer im Kreisverkehr schauen starr nach vorn, einer hupt.

Robert Walser war der „Räuber“ - ich zähle Federn im Gras.


Dr. Jekyll and Mr. Hyde love to live together

Im Wonnemonat Mai
Ich stand ganz dicht dabei
Da hat er ihn begraben -
Ich war nicht Schuld daran!

Vergiftet, weil die Tür ging auf
So nahm die Story ihren Lauf.
Utterson und Butler fragen,
Die waren Schuld daran.

Warum, wollten sie wissen,
Warum es so beschissen
Und Dr. Jekyll komisch ward.
War sonst ein netter Mann.

Schon 18-89
Schrieb Stevenson gar hastig
In Köln nun jetzt zu hören,
Ich bin da nicht so dran.

Ich hab ihn live gesehen
Und konnt nicht widerstehen.
Forscherdrang und Gutes
In einem schönen Mann.


Im Nachhinein:
Lamento über einen misslungenen Liebesversuch an einem frühsommerlichen Donnerstagabend im Beisein mittlerer Öffentlichkeit

Was vorbei ist
ist gewesen.
Du mein Liebster, du!

Mirnichtsdirnichts
nurdichwollen,
sagst ja nichts dazu.

Hast du beide
hast du gar nichts.
Wusst es nicht und hab bezahlt.

Hätt ich nur nicht nachgedacht,
hätt ich lauthals mitgelacht
und mein Herz in Bier ersäuft.

Was vorbei ist
ist gewesen,
hast es gar nicht mal bemerkt.

Wär ich mal und hätt ich nicht
und dazu jetzt dies Gedicht -
wer nicht will hat längst genug.


Sonett für den falschen Prinzen

Ich denk am Montag schon daran
dass ich am Sonntag ihn könnt sehn.
Er ist gar kein so schöner Mann
und niemals werd ich ihn verstehn.

Er lebt auf einem andern Stern
weit weg von mir. Er ist so kalt.
Ich hab ihn trotzdem so sehr gern,
so lange schon. Jetzt werd ich alt.

Er läuft davon, wenn ich ihm nah,
er meidet mich, ist gar nicht nett.
Seit langem sehe ich das klar.
Verdammt! Ich will mit ihm ins Bett.

Er ist mein Traum, er ist mein Licht -
doch mag der dumme Sack mich nicht.


Weitere Hörproben / Textproben / Journalistische Arbeiten auf Anfrage